Restaurationsbericht
der Ältesten zurzeit bekannten Victoria/Parilla
Fahrgestell NR.17/1016
Bj.1957
Ein Weg zwischen himmelhoch und abgrundtief…
Der Restaurator – ein Franke,
Theo-65-Jahre, Motorradfan der gerne restauriert und fährt – keine spezielle Motorradmarke – alles was mir so gefällt. So haben sich bei meinem Hobby im Laufe von 40 Jahren Motorräder der Marken Adler, BMW, Heinkel, Victoria, Zündapp … eingefunden.
Wie kam es zu der Parilla
– eines Tages erhielt ich einen Anruf von meinem Freund Alfons: „Ich habe den Auftrag, ein verkauftes Haus auszuräumen – im Keller liegt ein altes Motorrad – auf dem Tank steht so was wie „Arilla“, vermutlich ein italienischen Moped – die Besitzer wollen nur ein paar Euro. Kurz entschlossen sagte ich zu und am nächsten Tag wurde die „Arilla“ liegend auf einem Anhänger an mich übergeben. Der erste Blick – oh Gott, was habe ich mir angetan …
Der erste Tag danach
– obwohl ich mich bereits seit vielen Jahren mit alten Motorrädern befasste, so was kannte ich nicht. Das Motorrad stand mindestens 20 Jahre in einem Holz- Kohlekeller und so schaute sie auch aus. Als erstes habe ich das Motorrad einer gründlichen Reinigung unterzogen. Dicker getrockneter Schlamm – zentimeterdicke feste Ölschicht um Motor und Kettenbereich… es war einfach nichts zu erkennen…
Die Bestandsaufnahme
– auf dem Tank stand mit großen Lettern „Parilla“ – schwarze Klebebuchstaben / Motorrad komplett mit dicker blauer Farbe angestrichen – nur Tank mit roter Farbe / eine selbstgezimmerte Sitzbank war mit großen Nieten befestigt / hinteres Schutzblech abgeschnitten / Stollenreifen waren montiert / größere Anzahl der Speichen fehlten / Felge in der Mitte eingebrochen / kleines Schutzblech vorn mit Halterung einer BMW R75 / am Motor war die Lichtmaschine nach außen verlegt / für den erforderlich Keilriemen wurden Löcher in den Seitendeckel geschnitzt / die Auspuffrosette wurde kurzerhand verkleinert / Auspuff vermutlich von einem Moped / Lenkkopflager hatte hörbares Spiel … das waren nur die sofort erkennbaren äußeren Mängel.
Spurensuche
– Alfons S.übergab mir einen Fahrzeugbrief und konnte mir ein paar Augenblicke aus dem Leben der Parilla erzählen. Baujahr 1957 – Von den Besitzern in den 1960er Jahren kurze Zeit benützt und dann erst wieder im Februar 1984 zugelassen (mit Ausstellung eines neuen Fahrzeugbriefes – Original wurde eingezogen). 1985 wurde sie schon wieder abgemeldet. In diesen 19 Monaten wurde sie nur kurz gefahren – war laufend defekt. Wurde einige Zeit – leider ohne Erfolg – bei Motocross Veranstaltungen eingesetzt. Danach erfolgte Einlagerung an verschiedene Abstellorten, bis sie dann im November 2016 im Kohlekeller auftauchte und zur Entsorgung anstand.
Die Ausgangsbasis
Falsche Schutzbleche vorne und hinten, selbstgebastelte Sitzbank, Auspuff und Krümmer durchgerostet.
Fantasielackierung. Modernes Rücklicht.
Startschuss
– Voller Tatendrang suchte ich im Netz Informationen. Ich fand Berichte in „Das Motorrad Nr. 10 vom 18. Mai 1957“, „Oldtimer Markt Heft 5/95“ und „Motorrad Classic 4/95“. Nachdem ich alle Berichte verschlungen hatte, war klar – das Motorrad wird restauriert – zumal man mir sagte, dass nur ca. 450 Stück gebaut wurden und nur ca. 45 überleben. Ausschlaggebend war auch, dass die Älteste zurzeit bekannte Victoria/Parilla in meiner Werkstatt steht bzw. liegt. Habe sofort Suchanzeigen gestartet und mich bei verschiedenen Stellen u.a. „Motorrad Forum VFV“ und „Victoria Interessengemeinschaft“ kundig gemacht.
Jetzt folgte der erste Niederschlag – über Wochen keine Antwort auf meine Suchanzeigen – übers Forum erhielt ich nur zwei Hinweise, dass evtl. der Eine oder Andere u.U. Teile hätte, die aber wahrscheinlich nicht abgegeben werden. Zu diesem Zeitpunkt war ich am Nullpunkt. Im Bekanntenkreis meiner Oldtimerfreunde kam nur ein Kopfschütteln. Dann bekam ich durch Zufall Kontakt zu Anton G. und Thomas S. – dann ging es aufwärts. Später erfuhr ich erst, dass Anton G. „Typenreferent in der Victoria IG für die Victoria Parilla“ ist. Hier an dieser Stelle – ein großes Dankeschön an beide für ihre tolle Unterstützung während der Bauphase.
Momentaufnahmen beim Restaurieren
–INFO – Ein wichtigster Helfer war die Typen-CD für Victoria KR 17 Parilla – bestellen bei Victoria IG -. Inhalt – Ersatzteilliste mit Bild und Beschreibung der Teile!
Schutzblech hinten und vorne – mussten gefunden werden, ohne Erfolg.
Hier wurde ich bei einem DKW-Händler fündig – die Maße von der DKW RT 175 und 200 entsprechen dem Schutzblech hinten der Parilla.
Also fuhr ich mit meinem Alltagsmotorrad mit dem DKW-Schutzblech auf dem Soziussitz zu Anton G. Dort wurden sein Original mit meinem Schutzblech verglichen und alle Abweichungen (Löcher/Länge/Kettenführung) auf meinem DKW Schutzblech aufgezeichnet. Zuhause an die Arbeit – fertig war das erste Teil… Ein vorderes originales Schutzblech in noch reparablen Zustand konnte ich auch gleich mitnehmen. Zwei Fliegen mit einer Klappe erledigt.
Es wächst zusammen
Auspuffanlage
– hier hatte ich Glück, durch die IG wurden Auspufftöpfe nachgefertigt – ich konnte den letzten ergattern. Beim Krümmer war es etwas schwieriger – der von der Firma Motorrad Meister Milz angebotene hat eine falsche Krümmung, dieser passt NICHT. Fehlkäufe blieben also auch nicht aus. Konnte dann aber einen Gebrauchten auftreiben – der wurde ausgebeult und verchromt.
Motor
– Kickstarterfeder defekt – Ersatz fand ich bei MZ ES 125 oder ETZ 150 – der Motor hatte nur wenige Kilometer drauf – die meisten wichtigen Teile konnten wieder verwendet werden (Seitendeckel / Kleinteile / alle Hebel wurden verchromt / Kolben nur neue Kolbenringe )
– Die Zündanlage war das Hauptproblem … Umbau auf außenliegende Lichtmaschine, angetrieben durch einen Keilriemen, der kurzerhand durch den Seitendeckel ins Freie führte – Anker und Rotor wurden zu einer Riemenscheibe verschweißt… ich glaube dieser Umbau hat nie funktioniert.
Lichtmaschine nach außen verlegt, mit Keilriemenantrieb. Rechter Motordeckel nicht mehr brauchbar.
Zündanlage
Die Teilebeschaffung für eine originale Zündanlage und der aufwendige Rückbau waren sehr schwierig.
Hinweis – der Anker ist mit einer Schraube befestigt, die ein 7er Linksgewinde hat.
Alle Hürden wurden gemeistert und der Motor stand am selbstgebauten Prüfstand …. nichts und wieder nichts … er wollte nicht anspringen … hier verbrachten wir Stunden bis die Einsicht kam … Anker und Rotor müssen geprüft werden… Ergebnis: zu wenig Leistung – Ursache nicht auffindbar…
Die Zündanlage hat sich mit allen Mittel gewehrt … bei einem der vielen Startversuche flog plötzlich ein Teil durch die Luft … wir sind zusammengezuckt … ein Fliehkraftflügel ist in der Mitte auseinandergebrochen und ist uns als Flugobjekt um die Ohren geflogen …
Der Fliehkraftflügel wurde kunstvoll wieder repariert … aber die Zündanlage verweigerte trotzdem den erforderlichen Dienst …
Jetzt folgte der Zufall – habe im Netz bei der Suche nach anderen Teilen eine neue elektronische Zündanlage (Komplettsystem – Rotor/Regler/Steuergerät/ Zündspule/ Relais/Zubehör wie Kabel usw.) von VAPE für den Parilla Motor mit 175 ccm gesehen … Ich dachte mir, jetzt sind alle Motorprobleme gelöst … und zugeschlagen! … Nach dem Einbau der modernen Zündanlage sprang der dann bereits im Rahmen befindliche Motor sofort an.
Sitzbank
– über die Sitzbankbeschaffung könnte ich ein ganzes Buch schreiben.
Sitzbank fehlt – auf Märkten / Netz / Victoria IG … nichts.
Auf eine Anzeige hin hat sich nach Monaten ein echter „Parilla“-Fan gemeldet.
Ich habe eine italienische Sitzbank, die ungefähr die Größe hat, abzugeben. Wir wurden handelseinig und für einige Zeit war für mich das Sitzbankproblem gelöst.
Zwischenzeitlich waren der Rahmen fertig lackiert, Räder neu eingespeicht, Kabelbaum neu angefertigt und Tank innen beschichtet und außen liniert… meine Victoria Parilla stand nun schon auf Rädern… aber die Sitzbank wollte mir nicht so recht gefallen …
dann kam Thomas S. ins Spiel … er hat mir schon mit anderen Teilen geholfen und nun habe ich mich erinnert, dass er zwei Sitzbänke hat, diese aber nicht verkauft. Auf meine Bitte hin hat er mir seine defekte Sitzbank mit gutem Untergestell zum Nachbau zur Verfügung gestellt. Habe mir das am Anfang sehr einfach vorgestellt.
Muster – nachbauen – fertig… aber der originale Sitzbankrahmen war Handarbeit, da sollte man schweißen, biegen, dengeln und ein gehörig Geschick als Handwerker haben …
ein CNC-Fachmann fehl am Platz…
Habe viele Freunde, Bekannte und Empfehlungen abgeklappert … die Antworten: keine Zeit, kann ich nicht, zu Zeitaufwendig, unbezahlbar, das ist ja reine Handarbeit, Arbeitszeit nicht bezahlbar usw. Verzweiflung machte sich bei mir breit.
KR 17 P – noch mit italienischer Sitzbank
Dann …
… hat ein Bekannter aus früheren Tagen gesagt: „gib mir bis Weihnachten Zeit
– 6 Monate – mich reizt die Sitzbank – ich mache einen Versuch – in gleichem Atemzug
hat er gesagt – als Gegenleistung darfst Du aus den Teilen in den drei Kisten dort wieder eine Miele zusammenbauen – ich schlug ein.
Der Metallspezialist machte sich ans Werk.
Und tatsächlich war das Sitzbankgestell Weihachten fertig.
… ein Sattler war schnell gefunden; das Gestell wurde bezogen.
Ein Gefühl der Erleichterung und Zufriedenheit kehrte nun bei mir ein.
Hurra,
1164 Tage … die Nr. 16 der Baureihe Victoria/Parilla lebt wieder
Der Motor läuft seit 16:16 Uhr am 24.1.2020
Abweichend vom Original wurde ein offener Luftfilter verbaut
Der erste Fahreindruck
– ruhiger gelassener voller Klang
– prima Gasannahme im Stand
– seidenweiche Federung
– der Motor hat die ersten Meter toll überstanden (ohne Zulassung dreimal ums Gartenhaus).
Es war Freitag 16:16 Uhr am 24.1.2020 – die Parilla ist wieder zurück auf der Straße – Als nächstes steht dann noch die Zulassung an, aber hier wird erst mal abgewartet bis das Salz von den Straßen wegewaschen ist …
Das Ende der Sitzbankbeschaffung.
Bei meinen Veteranenfreunden hatte sich herumgesprochen, dass ich eine Victoria/Parilla restauriere und noch Teile suche. Kurz nach Neujahr kam Karl-Heinz M. zu mir und legt mir eine für ihn unbekannte Sitzbank auf die Werkbank … die habe ich vor 15 Jahren auf einem Veteranenmarkt gekauft für meine kleine 98er Ducati.
Ich traute meinen Augen nicht … eine originale brauchbare Sitzbank für eine Victoria/Parilla von Denfeld… Konnte Karl-Heinz M.nach zähen Verhandlungen zum Verkauf überreden.
Schlussworte
– jeder der ein Motorrad restauriert hat, kann viele kleine Geschichten erzählen. Es gib noch viele Aktionen und wichtige Hinweise, die ich nicht aufgeschrieben habe, aber das würde den Rahmen sprengen.
Doch noch eins: die Ersatzteilversorgung ist schwierig aber nicht hoffnungslos …mit viel Geduld + den Victoriafreunden + Ausdauer bei den vielen Veteranenmärkten + stundenlangem Suchen im Netz kommt man zum gewünschten Erfolg.
Ich freue mich und bedanke mich bei allen Helfern, dass sie mir geholfen haben … mit Rat und Tat.
Fragen zur Restaurierung beantworte ich gerne.
Anfragen richten Sie bitte an Typreferenten der Victoria IG Anton Grabinger.
Mit Parilla-Grüßen
Theo aus Franken
Das Bild zeigt den ersten Prototypen der Sitzbank.
Das Ergebnis der Restauration
nun mit originaler Sitzbank
Sehr schönes Motorrad ich besitze die NR.29 seit 1980 mein Vater hat sie damals in der Kiste von einem Kunden als bezahlung bekommen und ich habe sie 2 jahre später zusammengebaut und bin einmal damit gefahren.
Hallo, du verdienst den Orden für Kulturrettung. Auch den Ehrenmeisterbrief Victoria Parilla. Großer Respekt für Zielstrebigkeit und Mut und Durchhaltevermögen. Mein Bezug zur Parilla: 1960-ich machte gerade den Einser, entdeckte ich “meine” Parilla im Hinterhof einer Autofirma im Regen stehen. “Bitte für mich reservieren bis ich den Führerschein habe”, war meine Bitte. Sparneck, Landkreis Münchberg. Immer wieder fuhr ich mit meinem grünen Victoriafahrrad nach Sparneck, um mich an meinem Liebling sattzusehen. Dann die Enttäuschung: verkauft an einen Bauern, der sie vergammeln ließ. Ich wollte 150 DM zahlen, der hat mich etwas überboten. Als Trost: Adler MB 250 für 100 DM. Fehler: ich hätte gleich 150 hinblättern sollen, die Adler behalten sollen. Leider!